TAG.NACHT, Urs Dietrich

Premiere im Bremer Tanztheater

Bremer Tanztheater | Bremen | D
Dreharbeiten | 5,8,2005

Tanz und Video. Es gibt viele Beispiele von bemühtem, aber letztlich doch misslungenem Miteinander der Kunstformen. In TAG.NACHT stammen beide Elemente aus einer Hand – ein Blick auf die Möglichkeiten dieser Symbiose. Tänzerisch sehen wir Urs Dietrichs Formen, von Stück zu Stück weiterentwickelt, Seiten in einem Arbeitsjournal, verpflichtet einem deutlich nachvollziehbaren Prozess des Forschens. Nun verkörpern diese Formen einen weiteren Qualitätssprung. Denn der Tanz erscheint eingebettet in ein Bühnenbild, das allein aus der im Hintergrund der Bühne projizierten dritten Video-Arbeit von Dietrich besteht. Nach Im Bade wannen (2003) und Susanne Linke Hommage (2004), wo Dietrich Tanz als Gegenstand eines mit tänzerischen Qualitäten aufgeladenen Videos verarbeitet, ist dieses Video Bestandteil der Choreografie selbst. Die Kontinuität von tänzerisch-inhaltlicher Auseinandersetzung verbindet sich hier mit ihrer Formulierung in einem anderen Medium, dem Licht des Beamers. Eine bemerkenswerte Situation entsteht nun damit, das Stück nicht in der Konvention eines Theaterbesuchers zu sehen, sondern durch die Optik einer Kamera, aus der Perspektive des zweiten verwendeten – elektronischen – Mediums. Der Tanz tritt in dieser Konfrontation selten so intensiv hervor wie bei TAG.NACHT. Das Video auf der Bühne zerschneidet die aufgezeichneten Bewegungen der Tänzer, fügt ihnen videospezifische Bewegungen und Collagen aus ineinandergeblendeten Bildausschnitten hinzu. Von der Leinwand herab sprechen die Tänzer über ihre Erfahrungen bei der Entwicklung des Stücks, tasten sich am Sujet entlang, der Auseinandersetzung mit dem Bremer Dom, in dem das Stück ursprünglich gezeigt werden sollte, Hoffnungen, Religion, Gruppendynamiken, choreografische Prozesse. Vorne treten sie live in das Bild hinein, vollziehen in ihren Bewegungen das, was sie hinten verkörpern nach, komprimiert in die klassische Situation eines Tanz-Abends. Die Kamera spürt nicht mehr nur den Bewegungen der Tänzer auf der Bühne nach, das Okular schneidet ein Bild heraus, in dem Hintergrund und Bühne zu einer Fläche verschmelzen. Wo hinten Muster vorbeifliegender Texturen stoppen und weiterrauschen sausen Arme und Beine, Köpfe ins Bild, eine kleine Bewegung – um wieder zu verschwinden. Es entsteht eine visuelle Komposition, die einen intensiven Eindruck des eigentlichen Sujets hinterlässt. Die Chronologie von Dietrichs Stücken gipfelt in dieser, auf so überraschende Weise aufscheinenden, für den Zuschauer wohl fast (noch) unsichtbaren Form künstlerischen Ausdrucks. Sie hat ein zweites Medium in sich aufgesogen und bricht die Konvention des Theaters neu auf. ORT.LOS (2002) löste den Raum auf, PERSONA  (2003) entpersonalisierte die Tänzer, die so einen ungeheuren Drive, einen gemeinsamen Bewegungsrausch entwickelten. Dann kam mit LAREN (2003) eine Zwischenstufe, die nicht mehr so klar diese Loslösung vom Tanz als narrativem Mittel betrieb, eine Phase der Suche, in der Dietrich an seinen ersten Videos arbeitete. . Dann CLIP (2004), wieder ein Rausch von ineinander verschmelzenden Bewegungen, in genau dessen Miteinander die Tänzerpersönlichkeiten heraustreten konnten.KITZ (2004): Hier ein merkwürdiger Unterton im Kampf mit den Klischees von Ego und künstlerischem Werk, Transzendenzsuche auf dem Weg zum Konkreten des Tanzes – oder doch nicht? Nun kommt es im Video-Monitor zusammen – vielleicht, wie gesagt, nicht auf der Bühne aus der Sicht des „klassischen“ Zuschauers. Die Bühne erscheint wie in den besten Zeiten kritikbeflügelter Kunst als Ort der Konvention: Als Ort der Mitteilung an Zuschauer und Theaterbetrieb in deren Funktion des Finanziers von (künstlerischen) Prozessen, welche sich nicht durch ihre Bühnenpräsenz oder Bühnentauglichkeit – bis hin zur Anbiederung an den Bühnenbetrieb – zurechtstutzen lassen (wollen).Wir sehen das Zeugnis einer Arbeit, die die Grenzen gewohnter Rezeptionsbedingungen überschreitet. Nicht um des Skandals willen, sondern um bei sich zu bleiben. Eine Arbeit, die sich auch nicht in das andere Medium aufgibt, wie wir es von kokettierenden Pseudozynikern kennen, die den Menschen abschaffen möchten um sich – oder was übrig bleibt – ganz der Maschine hinzugeben. Hier wird die Konfrontation der Menschen miteinander immer noch gewahrt. Aber sie wird auf die Bühne gezerrt als Video-Dokument, montiert zu einer Folge von Statements, die der Choreograf (be)schneidet, in der er Auskunft gibt über die Konflikte der Beteiligten, wie sie sich sonst nur in den Bewegungen des Tanzes erahnen lassen und vielleicht im Werkstattgespräch, unbewegt, dem interessierten Publikum vermitteln.Dieser Depression, dem Verzweifeln an der nahezu unmöglich scheinenden Verständigung und konventionalisiertem Miteinander gibt dieses Stück in einer kaum gesehenen Radikalität und Gewalt Raum. Und das kann es um so mehr, wie entschiedener es am Tänzer auf der Bühne festhält.Die Stärke des Stücks entsteht damit, dass sich in der Video-Bearbeitung der ganze Ekel der Depression findet, in überbordenden leeren Effekten, der Hintergrund des Tanzes – im doppelten Sinn: Das Medium zeigt sich authentisch und ungeschönt in seiner Form als gesellschaftliche, gewachsene Ursache des Kommunikations-Debakels. In der TANZstadt:Bremen wird nach wie vor Tanztheater Geschichte geschrieben. Entdecken Sie Ihr Abenteuer Tanz, TAG.NACHT

Vorankündigung: FILMPREMIERE des Deutschen Tanzfilminstituts Bremen: Dance on Demand: DIE CHOREOGRAFISCHE AVANTGARDE IV Tanzcompagnie Robato  Realisation: Ulrich Scholz Produktion: Deutsches Tanzfilminstitut Bremen 40 min > Videoclip ansehen  Termin: vorauss. Mitte Juni 2005, im Deutsches Tanzfilminstitut Bremen Forum am Wall, Am Wall 201, 29195 Bremen Weitere Termine des Deutschen Tanzfilminstituts Bremen finden Sie unter: Aktuelles \

 

 

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 Urs Dietrich Bremer Tanztheater 

www.bremertheater.com

 

TAG.NACHT Chor.: Urs Dietrich Bremer Tanztheater