Urgestein und Solitär – Erinnerung an Hans Kresnik in der Zeitschrift tanz

Die Zeitschrift für Ballett, Tanz und Performance, widmet sich in ihrer Oktober-Ausgabe dem Abschied von Hans Krensik. Eva Elisabeth Fischer, Penelope Wehrli, Christoph Klimke und Yoshiko Waki sowie Heide-Marie Härtel erinnern sich. Hier geben wir den Beitrag von Heide-Marie Härtel wieder.

Der Theaterverlag | Berlin | D
Tafi-Info | Oktober 2019

“Die zunehmende Komplexität der Globalisierung entsprach nicht Johann Kresniks Denkschablonen. Die Katastrophen von Welt und Individuen trafen ihn fast filterlos. Seine Reaktionen darauf waren impulsiv bis schonungslos, selten analytisch. Sind das nicht herausragende Eigenschaften eines echten Künstlers?

 

Ich erinnere mich sehr gut, wie ich Studierenden der Anton Bruckner Privatuniversität Linz Videoaufzeichnungen von Kresniks “Ulrike Meinhof”, “Macbeth” und anderen Stücken zeigte. Bei vorangegangenen Vorträgen hatte ich, etwa auf Wunsch der Goethe-Instituts-Leiter in Asien,die krassesten Elemente wie das Zunge-Abschneiden im Schlussteil von “Meinhof” geschwärzt, mutete aber nun gerade diese Szenen den Studierenden zu. Sie reagierten kaum irritiert. Rose Breuss, Leiterin der Studiengangs, erklärte diese hohe Toleranzschwelle mit der österreichischen Tradition des Aktionismus ab den 1960er-Jahren, wie ihn etwa Hermann Nitsch oder Otto Mühl vertraten. Sie verschoben die Grenze dessen, was in Kunst in punkto Gewalt und Obszönität darstellbar war. Für mich öffnete sich da eine neuer Blick auf meinen früheren Chef, Johann Kresnik, den gebürtigen Kärntner.

 

Wie zerrissen muss es sich wohl anfühlen, sich im noch immer feudalen Theatersystem wie eine antiker Titan oder Satyr auszuleben, um quasi im gleichen Atemzug das hohe Lied der Frau als Opfer in Stücken wie “Ulrike Meinhof”, “Sylvia Plath” oder “Frida Kahlo” anzustimmen und glaubwürdig zu beklagen? Kresnik passte gut ins Team des Bremer Theaters, das ab den späten 1970er-Jahren mit dem Regietheater triumphierte, gleichwohl war er auch dessen Antipode. Fokussierten Kollegen wie Peter Zadek, Peter Stein, Rainer Werner Fassbinde ihren Blick auf die innere Substanz eines vorhandenen Theatertextes, so ging es Kresnik in seinem “Choreografischen Theater” mehr um seinen genuin eigenen Kommentar zu gesellschaftsrelevanten Themen, politischen Missständen und daraus folgenden individuellen Katastrophen. Wir Tänzer durften mitgestalten, wenn er Brücken baute zwischen dem Elfenbeinturm Kunst und den politischen Bewegungen, den Studentenunruhen und Woodstock.

 

Kresnik blieb Urgestein und Solitär, seine Arbeit singulär, einem abgesehen von der Arbeit der Choreografin und ehemaligen Kresnik-Tänzerin Yoshiko Waki. Heute sehe ich Kresnik als Barockmenschen, der seine fantastischen inneren Bilder auf die Bühne des 20. Jahrhunderts warf. Die Spannweite seines Interesses glich dabei der Welt des Hieronymus Bosch – vom “Weltuntergangsgericht” über den “Garten der Lüste” bis zu den “Sieben Todsünden”.

 

Wäre dieses Bild nicht tröstlich? Hans sitzt mit dem Philosophen Ernst Bloch auf einem anderen Planeten, und sie spielen, wie zu Lebzeiten, wieder eine Partie Schach miteinander. Dabei diskutieren sie, dass Kunst nicht museal sein dar. Kunst, und damit auch Theater und Tanz, sollte von Anfang an auf eine späteren Tag dat, iert werden, als verberge sich in ihr ein utopischer Überschuss, eine Idee von einer besseren Welt. Ich würde ihnen gerne lauschen, unsere aktuelle politische Lage hätte es nötiger denn je.”

 

Heide-Marie Härtel
Tänzerin bei Hans Kresnik 1971-1978 in Bremen, Gründerin und Leiterin des Deutschen Tanzfilminstituts Bremen, Kulturwissenschaftlerin und Filmemacherin.

 

Veröffentlicht in tanz – Zeitschrift für Ballett, Tanz und Performance im Oktober 2019